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Zuhause im Unbezahlbarland

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Sonderzeitung des Landkreis Görlitz Erscheinungsdatum: April 2019

06 | Versteckte

06 | Versteckte Wirtschafts-Perlen an der Neiße Versteckte Wirtschafts-Perlen an der Neiße | 07 Versteckte Wirtschafts- Perlen an der Neiße “WENN MAN MENSCHEN PERSPEKTIVEN GIBT, KOMMEN SIE WIEDER” Stationen der Pressereise: Fit GmbH Hirschfelder und Holzindustrie Schweighofer in Kodersdorf Im Herbst des letzten Jahres waren zehn Journalisten aus ganz Deutschland im Landkreis Görlitz unterwegs. Während einer Pressereise informierten sie sich über die Vielfalt an Unternehmen und staunten, wie viele versteckte Perlen es hier gibt. Miriam Schönbach hat die Pressereise mitgemacht und zusammengefasst. Idyllisch liegt Oderwitz mitten im Dreiländereck Deutschland-Polen und Tschechien. Bekannt wurde der Ort vor 18 Jahren, als Jörg Kachelmann dort das Wetterstudio „Zittauer Gebirge“ eröffnete. Doch Thomas Scholz will nicht nur mit Idylle und Wetter punkten. Der 40-Jährige hat vor drei Jahren die Oderwitzer Metallfirma übernommen. Inzwischen gehört sein Unternehmen „Arnell“ zu den weltweit bedeutenden Herstellern von Gitterrostbefestigungen. Funkfernbedienung für Pkw-Standheizungen für alle Marken des VW Konzerns Lutz Berger gründete 1991 das Unternehmen „Digades“ Scholz hält einen simplen Metallwinkel in der Hand. „Davon machen wir 100 Grundtypen in mehr als 100 Varianten. Unsere Bauelemente finden sie überall dort, wo Gitterroste befestigt werden müssen, auf Ölplattformen, Flughäfen, Aussichtsplattformen oder im Hafen in Seattle“, sagt der gebürtige Zittauer. Von dort ist der Wirtschaftsingenieur nach Hongkong, Holland und London gegangen. Am Limit, wie er selbst sagt, hat er in der Automobilzulieferindustrie gearbeitet und irgendwann beschlossen, er muss von der Überholspur runter und zurück in die Heimat. Dieser Landstrich ist der Landkreis Görlitz, fast so groß wie das Saarland und mit 190 Kilometern Außengrenze zu Tschechien und Polen. Durch die Kreisstadt Görlitz verläuft der Grenzfluss Neiße. Seit zehn Jahren ist Landrat Bernd Lange (CDU) hier am Zug. Er kennt jeden Zipfel in seinem Kreis – und auch seine Sorgen. Zwischen 1990 und heute haben viele die Region verlassen. Tausende Arbeitsplätze in der Kohle, im Maschinen- und Fahrzeugbau und in der Textilindustrie gingen verloren. Heute liegt die Arbeitslosenquote bei sechs bis sieben Prozent. Doch erst kürzlich wackelten Arbeitsplätze bei Siemens und Bombardier. „Unsere Menschen sind durch einen schweren Wind gegangen“, sagt Lange. Der hohe Zuspruch für AfD haben den Landrat und andere erschrocken. „Wir sind mehr als die AfD, Wolf und Strukturbruch. Wer hiergeblieben ist, musste kreativer sein, sonst wäre er nicht mehr da“, sagt er. Vielerorts seien Neugründungen und Neuansiedlungen entstanden, die mit innovativen Ideen Nischen besetzten und weltweit erfolgreich seien. So wie Scholz und die Gitterrostbefestigungen. Von Thailand zurück in die Heimat: Produktionsleiter Ralf Krüger In Hagenwerder fertigt SKAN innovative Reinraumtechnik Selbst etwas in die Hand nehmen – das wollte auch Gründer Lutz Berger aus Zittau. Mit ehemaligen Kollegen gründet der Nachrichtentechnikingenieur 1991 das Unternehmen „Digades“ – sie wollen Spitzenelektronik aus Sachsen entwickeln. 1995 bekommen sie mit einem neuen Reifendruckkontrollsystem ihren Fuß in die Automobilbranche. „Damals saßen wir noch in einer Baracke, wo es hineinregnete“, sagt der 54-Jährige. Dann folgt der Auftrag, eine Funkfernbedienung für Pkw-Standheizungen zu entwickeln – in der Größe eines Autoschlüssels. Inzwischen gehören die Zittauer zu den innovativsten Mikroelektronikunternehmen Sachsens und beliefern unter anderem alle Marken des VW-Konzerns. Leiter der Produktion ist Ralf Krüger. Lange hat der Elektrotechnikingenieur in Laos und Thailand Fachleute ausgebildet. Dann kam er in seine Heimat zurück, wo es nur einen Katzensprung nach Polen und Tschechien ist. „Ich mag diese Grenzgänge“, sagt er. Als jüngstes Produkt haben die 190 Digades-Mitarbeiter ein Notrufsystem für Motorräder entwickelt. Die nächste Herausforderung wird das Thema Elektromobilität. Seine Ausbildung machte Krüger wie viele in der Region im Bergbau. Die Tagebaue sind vor allem im nördlichen Landkreis Görlitz immer noch präsent. Mit der Energiewende, so Lange, drohe ohne Strukturwandel dort der nächste Bruch. Im Süden dagegen ist die ehemalige Braunkohlegrube Berzdorf kurz vor den Toren der Stadt Görlitz zum See geworden. Nur einen Steinwurf entfernt davon steht auf dem ehemaligen Kraftwerksgelände in Hirschfelde die Produktion der „Skan-Deutschland“ GmbH. Standortleiter Mario Ludwig legt eine alte Fotografie auf den Tisch. Dicke Kühltürme qualmen, Schornsteine ragen in den Himmel. An dieser Stelle produziert der Ableger des Schweizer Unternehmens seit vier Jahren Reinraumausrüstungen und Isolatoren für die pharmazeutische Industrie. „Ein Klassiker unserer Anwendungen ist die Impfstoffabfüllung“, sagt Ludwig. 50 bis 60 ihrer Entwicklungen liefern die 120 Mitarbeiter weltweit aus. Auch Ludwig ist ein Rückkehrer. Für den Elektrokonzern Siemens war er in der Schweiz und Deutschland tätig. „Wenn man Menschen Perspektiven gibt, kommen sie wieder“, sagt Andrea Behr, Chefin der Wirtschaftsförderung „Europastadt GörlitzZgorzelec GmbH“. FREIE RÄUME – UNBEZAHLBAR. UnbezahlbarLand Auch ein Rückkehrer: SKAN-Standortleiter Mario Ludwig Und Landrat Lange setzt darauf, dass in seinem Landkreis noch viel Platz für weitere „Hidden Champions“ oder „versteckte Perlen“ ist. „Hier kann sich jeder verwirklichen“. Text: Miriam Schönbach | Fotos: Ingo Goschütz Foto: Philipp Herfort